Wer mich etwas näher kennt, weiß ja, dass ich schon ziemlich viele Bücher rund um die Themen psychologische Selbsthilfe und Persönlichkeitsentwicklung gelesen habe. Nicht unbedingt, weil ich als Erwachsene überdurchschnittlich viele psychische Probleme habe, sondern vor allem aus Interesse. Und ich bin auch relativ sicher, dass ich sowohl durch die Lektüre als auch durch gute Gespräche mit vielen verständigen Frauen und ein paar verständigen Männern (sorry, ist so) viel von dem gelernt habe, was andere in einer Therapie lernen.
Das Buch mit dem Untertitel „100 Psychotherapie-Tools für mehr Leichtigkeit im Alltag“ verspricht nun Tipps aus der Therapeut*innenkiste – kurz und knackig verpackt. Ich war da recht skeptisch, aber es ist doch gut gelungen. Bachim pflegt einen lockeren Stil und konzentriert sich auf die konkrete Anwendung bestimmter Werkzeuge aus dem psychologischen Werkzeugkoffer. Dabei stammen recht viele dieser Werkzeuge aus der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) und auch aus der Acceptance-Commitment-Therapie (ACT) – aber nicht nur.
Viele der geschilderten Tipps und Tricks kenne ich, einige wende ich selbst immer wieder an. So ist das Kapitel über „Musturbation“ gut. Es macht einem klar, was es mit einem macht, wenn man sich sein Leben als eine Abfolge von Zwängen vorstellt („muss arbeiten, muss einkaufen, muss kochen, muss …“), statt als etwas, über das wir mehr oder weniger frei entscheiden können. Ich selbst frage mich oft: Muss ich etwas wirklich tun? Oder will ich es? Und denke an meine Mutter, die als ältere Frau gerne sagte: „Ich muss gar nichts außer sterben!“
Auch das Kapitel über Grübelzwang („nicht an rosa Elefanten denken!“), das vor allem auf ACT basiert, fand ich gut nachvollziehbar, ebenso jenes über Angst und wie man diese durch Exposition mildern kann. Manche Tipps sind einfach anzuwenden, wie zum Beispiel bei Stress gaaaanz langsam auszuatmen. Andere verlangen mehr Motivation, wie ein Glückstagebuch zu führen.
Ein bisschen unhandlich fand ich das letzte Kapitel über Probleme in Beziehungen. Da kamen auf gerade mal 19 Seiten Themen wie Bedürfnisbilanz, Schematherapie, der Kiesler-Kreis, die Transaktionsanalyse und das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) zur Sprache – die meisten davon recht anspruchsvolle und komplexe therapeutische Ansätze, die man eben nicht so einfach aus der Lameng selbst ausprobieren kann. Für mich, die all das zumindest oberflächlich kennt, eine gelungene kurze Zusammenfassung; für jemanden, der sich damit noch nicht beschäftigt hat, vielleicht eher verwirrend.
Natürlich kann das Buch keine Therapie ersetzen. Jemand, der psychisch schwer angeschlagen ist, wird sich kaum aufraffen können, das zu lesen, zu verstehen und anzuwenden, denn fehlende Einsicht ins eigene Fehlverhalten, wenig Selbstwirksamkeitsglaube, wenig Antrieb und wenig Mut zum Risiko kennzeichnen ja oft schwerere Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen.
Aber für die Menschen, die ich als „Normalneurotiker“ bezeichne – und zu denen ich mich selbst zähle –, kann man durchaus das ein oder andere aufgreifen und ausprobieren und die eine oder andere Grundüberzeugung und Routine mal kritisch in Frage stellen.
Nun sind die Herbstferien schon eine Woche vorbei. Aber immerhin hatten wir am letzten Ferienwochenende noch einmal einen schönen Ausflug zum ganz anderen Ende des Odenwaldes gemacht – nach Osterburken. Dort hatten wir das Römermuseum besucht und sind durch die Stadt spaziert. Wir hatten auch erwogen, die nahe Tropfsteinhöhle Eberstadt zu besuchen, aber da waren gerade keine Plätze bei den obligatorischen Führungen frei, und angesichts des schönen Wetters war uns sowieso mehr danach, noch einmal eine Runde im Herbstwald zu drehen.
Herbstwald bei Beerfelden Mitte Oktober
Wieso guilty pleasure? Weil das Schönste am Ausflug eigentlich die lange (je 1,5 Stunden) Hin- und Rückfahrt quer durch den Odenwald war. „Spazierenfahren“ ist ja heute klimatechnisch kein applauswürdiges Hobby mehr. Aber ich verbinde damit immer schöne Zeiten mit meiner Mutter, die gerne mit mir im Odenwald herumgefahren ist. Vor der Zeit der Routenplaner waren wir bestenfalls nur mit einer Landkarte bewaffnet, und meine Mutter war durchaus experimentierfreudig, was seltsame kleine Schleichwege und unbekannte Straßen anging. Ich habe noch besonders gut eine Tour in Erinnerung, die von Siedelsbrunn durch den Wald ins Eiterbachtal und von dort an den Neckar führte.
Diesmal aber einmal Odenwald querbeet – genauer: Weschnitztal, Marbachstausee, Hetzbach, Schöllenbach, Mudau, Buchen, Osterburken. Zurück ging es ab Mudau durch den Reisenbacher Grund, Gaimühle, das Sensbachtal und Wald-Michelbach.
Wenn man aus dem verhältnismäßig urbanen und durch das kristalline Tiefengestein geprägten Weschnitztal kommt, ist der hintere Odenwald schon beeindruckend einsam an manchen Stellen. Besonders zwischen Hetzbach, das zu Beerfelden gehört, und Mudau fährt man lange durch dichte Wälder, die kaum einmal durch kleine Ansiedlungen unterbrochen werden. Die Landschaft ist auch anders durch die unterschiedliche Geologie. Während wir hier im kristallinen Odenwald eine kleinformatige Struktur haben, die viele kleine Täler und Hügel beinhaltet, hat der Sandsteinodenwald langgestreckte Höhenzüge und teils tief eingeschnittene Täler (was bedeutet, dass man Serpentinen und Steigungen nicht scheuen darf, wenn man dort entlangfährt). Das finden wohl auch Motorradfahrer reizvoll, aber manche Strecken dürfen von ihnen z. B. an Wochenenden nicht befahren werden. Die Gegend ist weniger fruchtbar, daher gibt es auch mehr Wald als Felder, und das Wetter ist dort ebenfalls rauer als hier in Bergstraßennähe.
Bei Mudau war die Landschaft Richtung Südosten mit dem Untergrund Muschelkalk wiederum eher flach mit einem weiten Himmel – auch das war reizvoll.
In Osterburken fanden wir das Römermuseum dort durchaus sehenswert. Es war angenehm leer, außer uns waren nur eine Familie und zwei ältere Herren da. Neben Fundstücken konnte man auch die Grundmauern eines antiken Badegebäudes anschauen. Die älteren Herren neigten allerdings dazu, sich sehr lautstark zu unterhalten, sodass man im halben Museum etwas davon hatte. In Osterburken konnte man sich außerdem den Rest des alten Römerkastells anschauen.
Den Ort selbst fand ich eher wenig aufregend. Mich erstaunte, dass das relativ kleine Städtchen (laut Wikipedia gut 6.600 Einwohner) einen so großen und prächtigen Bahnhof hatte. Friederike vom LandLebenBlog erklärte mir auf Bluesky, dass die Stadt schon seit jeher ein Bahnknoten gewesen sei, sowohl für badische als auch für württembergische Linien. Die hatten früher jeweils einen eigenen Bahnhof, weswegen es sogar zwei Stück gab. Und Osterburken lag auf der umsteigefreien Strecke Berlin–Rom. Wieder was gelernt! Heute wirkt das ehemalige Verkehrsdrehkreuz eher verschlafen.
Unser Urlaub neigt sich langsam dem Ende entgegen, seufz. Wir sind gerade ausnahmsweise beide gesund (seufz, seufz) und waren so zu einem Ausflug nach Speyer aufgelegt. Ich bin immer wieder überrascht, dass das ohne Berufsverkehr von unserem Odenwalddorf aus gerade mal gut 40 Minuten mit dem Auto dauert.
In Speyer hatten wir uns nun doch noch die Ausstellung „Caesar und Kleopatra“ angeschaut. Ich war ja etwas zögerlich gewesen, da die Dauerausstellungen im historischen Museum der Pfalz, die mich am meisten interessieren – Urgeschichte und Römer – zurzeit nicht besucht werden können. Außer der Sonderausstellung zu Caesar und Kleopatra (oder besser: zu ziemlich vielem rund um die ptolemäischen Pharaonen und die Römer dieser Zeit generell, aber dazu gleich mehr) konnte man nur noch eine kleine Ausstellung zum Domschatz und eine kleine Fotoausstellung anschauen. Ich gestehe, 17 Euro pro Nase fand ich dafür etwas happig. Aber nun gut.
Die Ausstellung war auch an einem Werktag überraschend voll. Anfangs fand ich das etwas nervig, nicht zuletzt, da es nach Mensch müffelte, und ein offenbar sehr bedeutsamer Herr, der sich in unserer Nähe herumtrieb, anderen bedeutsamen Herren sehr laut alles erklärte, was es in der Ausstellung zu sehen gab.
Wie schon gesagt – meine Befürchtung, in der Ausstellung nur die künstlerische Rezeption des berühmten Liebespaares Caesar und Kleopatra zu sehen, bewahrheitete sich nicht, auch wenn das natürlich Thema war (vor allem Elizabeth Taylor – von ihr gab es sogar eine Barbiepuppe im Kleopatra-Look).
Interessanter war die Geschichte der ptolemäischen Pharaonen, die in der Ausstellung gewürdigt wurde. Ich muss ja gestehen, dass ich nicht immer auf dem Schirm habe, dass Ägypten seit Alexander dem Großen von makedonischen, sprich mehr oder weniger griechischen Herrschern beherrscht wurde. Ich fand es interessant, wie Kunst und Religion der hellenistischen Welt und Ägyptens dann zusammenflossen. Es gab sogar mit Serapis einen Mischgott zwischen Osiris, dem Apis-Stier, Hades und Zeus. Manchmal denke ich, diese etwas mehr laisser-faire-Haltung mit Göttern könnte sich der Monotheismus abschauen, statt sich die Köpfe einzuschlagen über die Frage, wie Gott nun richtig heißt.
Zahnweh?
Mit der ägyptischen Götterwelt (oder den Götterwelten – es gab ja verschiedene Kultlinien wie jene von Memphis und Theben) bin ich nicht so sehr vertraut. Von Ptah-Sokar-Osiris, einem Gott, der als Mumie dargestellt wird und eine Mischform des Schöpfergottes Ptah und der Totengötter Sokar und Osiris darstellt, hatte ich noch nie gehört.
Rechts vorne: Ptah-Sokar-Osiris
Interessant fand ich auch, wie unterschiedlich Kleopatra zu ihrer Zeit bildlich dargestellt wurde. Dabei muss man allerdings einschränken, dass man bei vielen Statuetten usw. nicht sicher ist, ob sie wirklich sie (oder auch eine Vorgängerin – Kleopatra war immerhin Nr. 7) zeigen. Freude hatte ich (wie bei Römerausstellungen immer) an den Pimmelmännchen.
Die Ausstellung bot vor allem für Kinder viel Interaktives. Wenn es weniger voll gewesen wäre, wäre ich da auch mehr mit am Start gewesen. Immerhin konnte ich meinen Namen in Hieroglyphen schreiben. Der Chepresch zum Verkleiden war zu meinem Leidwesen nicht groß genug für mich.
Wir bummelten danach noch ein bisschen durch Speyer, ich aß eine Portion Pommes bei einer Fast-Food-Kette, von der ich geschworen hätte, es gäbe sie seit den späten 1990ern nicht mehr.
In das sehr sehenswerte jüdische Museum Speyers gingen wir dieses Mal nicht, liefen statt dessen ein bisschen durch die Stadt und gingen am Rhein entlang (Helmut-Kohl-Ufer!). Ich erfuhr außerdem, dass Brezeln irgendwie sehr typisch für Speyer sind, und stand an einer Brezel-Ampel.
Wir waren auch im Dom, den ich merkwürdig kalt und unspirituell finde für ein Gotteshaus mit so viel Geschichte. Wir schauten uns diesmal nur die frei zugänglichen Teile an, wobei ich die Sammlung der Reliquien immer wieder faszinierend finde. Eine liebe Bekannte von mir nannte den Katholizismus (dem sie selbst angehörte) manchmal „Euro-Voodoo“ – daran muss ich dabei denken.
Interessant fand ich im Dom auch einen großen bronzenen Kerzenhalter in Baumform, auf dem man neben merkwürdigen Ausgebilden auch allerlei Bronzetiere entdecken konnte. Ich nahm ein Infoblättchen mit. Dort wurde erklärt, der Baum stelle Gottes Schöpfung dar, die aus drei Wurzeln herauswächst. Die Schlange (habe ich nicht gesehen) stehe für das Böse, die Triebe für die zwölf Stämme Israels, die Rose (habe ich auch nicht gesehen) für Jesus.
Ich fand das Gebilde seltsam. Wenn die Tiere Gottes reiche Schöpfung darstellen sollten, warum dann solche, die in der christlichen Symbolik nicht sehr beliebt sind – wie Kröten, Insekten und Raben? Wieso hat der Baum drei Wurzeln – ein Charakteristikum, das ich von Yggdrasil kenne, das mir aber bisher von biblischen Bäumen nicht geläufig war?
Seltsam fand ich auch, dass im Infoblättchen der Künstler oder die Künstlerin nicht genannt wurde. Nachdenklich spendete ich dem Raben eine Kerze.
Jetzt habe ich ergoogelt, dass die Rose Maria darstellen soll, nicht Jesus. Geschaffen wurde das Ganze von der Dominikanerin Burghildis Roth in den 1980ern. Sie war wohl eine rührige Kunsterzieherin und Bildhauerin.
Nachdem ich die letzten Tage mit viel Husten und Schniefen verbracht habe und gar nicht oder nur sehr kurz spazieren war, geht es heute wieder etwas besser. Da es ein schöner, ruhiger Herbsttag ist, haben wir einen kleinen Spaziergang dort gemacht, wo ich auch mit meiner aktuell kaum vorhandenen Kondition laufen kann, ohne gleich ins Keuchen, Husten oder Schwitzen zu kommen.
Das Gassbachtal eignet sich dafür hervorragend; es ist ein sanft ansteigendes, sehr hübsches Odenwaldtal bei Gras-Ellenbach, einem Ortsteil von Grasellenbach.
Schön ist im Gassbachtal auch der Kunstweg, einer von 25, die die Sparkassenstiftung Starkenburg gesponsert hat. Dieser hier stammt aus dem Jahr 2012 und ist noch gut erhalten; ich erinnere mich noch an die Einweihung in meinem ersten Jahr als Lokaljournalistin.
Auch zwei Kneippanlagen findet man bei einer kleinen Runde, die auf der einen Seite des Tals hinaus- und auf der anderen wieder hinunterführt. Sie werden von Quellen gespeist; davon gibt es dort viele.
An einer dieser Quellen befindet sich ein Werk zum „Quellendank im Odenwald“, das die Künstlerin Gesine Wegener geschaffen hat – eine sehr interessante und spirituell inspirierende Künstlerin, die ich vor Jahren persönlich kennenlernen durfte. Die Werke an den Quellen danken dem Element Wasser.
Hier in der Region erarbeitete Wegener unter anderem an der Martin-Luther-Schule in Rimbach zusammen mit Schüler:innen eine Stelenanlage, die an jene jüdischen Kinder erinnert, die durch Kindertransporte vor dem Tod während der NS-Zeit gerettet wurden.
In Gelnhausen steht das m.W. erste Mahnmal, das an die Hexenverbrennungen erinnert; es heißt „Die Rufende“ und wurde 1986 von Wegener geschaffen.
Zurück zum Gassbachtal. Auch der Wald dort ist schön. Es gibt dort noch relativ viele Nadelbäume und dementsprechend viele Pilze. Essbare waren zwar keine dabei, die uns auf dem Spaziergang gereizt hätten, aber man muss ja nicht alles ausreißen und auffressen.
An der Felsenquelle im Gassbachtal findet man eine Gedenktafel für Professor Gerhard Beisinger, den „Kenner, Freund, Beschützer der Landschaft unserer Heimat“.
Ich gestehe: Der Name sagte mir zunächst nichts, also habe ich einmal gegoogelt. Beisinger war wohl in der weiteren Region als Lehrer tätig, ab 1924 in Heppenheim, und dort auch als Naturschutzbeauftragter aktiv.
In Antiquariaten konnte ich mehrere Bücher von Beisinger über Naturschutz und Naturschutzgebiete im Kreis Bergstraße finden. Anderswo wird er als „Pionier des Naturschutzgedankens“ bezeichnet, und es wird erwähnt, dass er sich sehr für den Naturpark Bergstraße-Odenwald (den Vorläufer des heutigen UNESCO Geo-Naturparks) eingesetzt hat. 1963 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Wieder was gelernt!
Gerhard Beisinger
Man kann die Runde durchs Tal natürlich beliebig erweitern – zum Beispiel in Richtung Walpurgiskapelle, Hammelbach oder Weschnitzquelle, oder man stattet dem Café Bauer im Gassbachtal einen Besuch ab.
Gras-Ellenbach ist, wie ich schon einmal beim Thema Siegfriedquelle schrieb, ein Ort, der immer noch gerne von Tourist:innen besucht wird. Ich habe ein bisschen recherchiert und dabei festgestellt, dass der Ort allein im Juni 2025 fast doppelt so viele Übernachtungen wie Einwohner hatte.
Als Wander- und Ausflugsziel ist Gras-Ellenbach mit seinem leicht angestaubten Nibelungen-Charme und der prächtigen Natur auch für Tagesausflügler interessant. Und wer sich von Sahnetorten ernährt, muss nach meiner Recherche dort garantiert nicht hungern.
Wenn man das Gassbachtal entlangwandern will, muss man allerdings etwas Glück haben, um auf dem sehr kleinen Wanderparkplatz einen Stellplatz zu bekommen. Fast alle anderen Parkplätze gehören offiziell zu den umliegenden Hotels. Alternativ kann man etwa 200 Meter weiter an der Nibelungenhalle parken.
Mit dem Bus erreicht man den Ort aus Richtung Heppenheim mit der Linie 660, aus Richtung Weinheim mit der 681; beide Linien fahren stündlich, in den Stoßzeiten unter der Woche sogar halbstündlich.
Ich liebe den Herbst, und ich habe mich schon sehr darauf gefreut, in den zwei Wochen Herbstferien diese schöne Jahreszeit zu genießen. Außerdem wollte ich Freunde treffen, viel wandern und mit dem besten Ehemann von allen Ausflüge machen und hier ein paar Dinge am Haus herumwurschteln, die anstehen. Aber ihr kennt das – es kommt erstens anders und zweitens, als man denkt…
Die Wochen davor waren für mich wirklich verhältnismäßig anstrengend – weniger wegen des (üblichen) Umfangs meiner beruflichen Arbeit, aber ich hatte eine unangenehme zahnmedizinische Sache zu erleiden, die wochenlang nachhallte. Dann musste ich noch andere medizinische Dinge abklären, was mich fürchterlich stresste und auch jetzt noch nicht zu 100 % erledigt ist. Und dann war da noch der Betonlaster, der mein Auto kaputtfuhr. Jetzt nerve ich in regelmäßigen Intervallen die gegnerische Versicherung, wie es weitergehen soll, bekomme aber nur „Ihr Fall wird bearbeitet“-Mails.
Dann war das Wetter in den ersten Ferientagen auch richtig scheußlich, und wir konnten einiges am Haus nicht angehen.
Und jetzt bin ich krank. Auf Halsweh folgte Schnupfen, und jetzt bin ich bei einem quälenden Husten angelangt. Corona ist es immerhin nicht laut Test. Der Freundin, die ich so gerne heute getroffen hätte, habe ich abgesagt; ich fühle mich weder fähig, nennenswert spazieren zu gehen, noch will ich sie indoor vollkeimen.
Ich bin ziemlich deprimiert, um ehrlich zu sein. Aber ich denke auch – wozu lese ich immer wieder Bücher über Acceptance und Commitment?
Ich muss es halt auch anwenden. Sprich: akzeptieren, dass es so ist und ich es gerade nicht ändern kann. Radikale Akzeptanz.
Und ich denke, vielleicht muss das jetzt auch mal sein – dass ich eine Woche oder so wirklich kaum etwas tue außer lesen, Tee trinken, ein bisschen Computer und Mini-Spaziergänge. Früher habe ich ganze Semesterferienmonate auf diese Weise rumgebracht, hüstel.
Zum Glück hatten wir am Samstag einen großen Korb voller Bücher in der nächsten Stabü mitgenommen. Gerade lese ich mit viel Vergnügen den Roman „Butter“ von Asako Yuzuki. Ich mag ja zeitgenössische japanische Literatur sehr – angefixt natürlich von Haruki Murakami, von dem ich irgendwann, ich glaube noch zu Studentenzeiten, „Die wilde Schafsjagd“ las.
Butter ist der erste Roman von Asako Yuzuki. Wie gesagt, ich bin noch nicht ganz durch, aber finde ihn sehr interessant. Ich habe das Gefühl, einen kleinen Einblick zu bekommen in den Alltag japanischer Frauen, die ja ihre eigenen und etwas anderen Kämpfe auszufechten haben als wir hierzulande, und das in einer nicht eben turbo-emanzipierten Gesellschaft.
So ist es für ein garstig hühnenhaftes Weib wie mich ( fast 1,80 und Kleidergröße 44/46 dort, wo Größen groß ausfallen) natürlich schon fast amüsant, wenn sich eine Frau mit 1,66 m als viel zu groß bezeichnet und als „fett“ gilt, wenn sie mehr als 50 Kilo wiegt. Aber die Schönheitsideale – klein und zerbrechlich zu sein – und der Druck, sich nicht gehen zu lassen, sind in der japanischen Gesellschaft, wie sie die Autorin darstellt, sehr stark.
Der Roman wird aus der Sicht einer jungen Reporterin namens Rika erzählt, die Interviews mit der inhaftierten Manako führt. Diese hat wohl in einer Art „schwarze Witwe“-Manier mehrere Männer unter die Erde gebracht. Diese erregt nicht zuletzt (bei misogynen Männern vor allem) Aufsehen, weil Manako furchtbar dick ist (70 Kilo!!!), sondern auch, weil sie sich leidenschaftlich und gleichzeitig fürsorglich gibt. Zentrales Element dabei sind ihre Kochkünste.
Manako beginnt, Rika zu manipulieren und dazu zu motivieren, mit Lust viel zu essen. Ich muss sagen: appetitliche Beschreibungen gelingen der Autorin gut! So bekomme ich, obwohl weitgehend vegan lebend, angesichts der Schilderungen des Essens darauf richtig Lust, unter anderem auf Butter. Butter, die auf Reis zerläuft…
Rika bewegt sich zwischen der Manipulation durch Manako und einem eigenen, selbstbestimmten Weg, bei dem sie nicht nur zunimmt, sondern auch sonst den Ansprüchen an eine pflegeleichte, gehorsame und liebe Frau nicht mehr genügen will. Aber auch von Manako entfremdet sich Rika, was diese nicht ungesühnt lässt…
Wie gesagt, ich bin noch nicht ganz fertig. Ach – was wäre die Welt ohne Bücher!
Ein wirklich schönes Wandergebiet ist die Gegend zwischen Oberschönmattenwag („Schimmeldewoog“) und Raubach. Kommt man mit dem Auto, parkt man am besten auf dem Parkplatz „Waldlehrpfad“.
Der Waldlehrpfad ist etwas Besonderes: Er soll der erste in Deutschland gewesen sein. Angelegt hat ihn der Lehrer Ruprecht Bayer 1957.
Ich mag die etwas anachronistisch wirkenden Schilder – etwa jene, die bildhaft vor Rauchen im Wald warnen, oder andere, die mit einem Gedicht darauf hinweisen, dass Sorgen im Wald keinen langen Bestand haben (*Text siehe ganz unten). Letzteres kann ich voll und ganz unterschreiben.
Neben dem Waldlehrpfad gibt es dort noch verschiedene andere markierte Wege. Man kann aber auch einfach auf der einen Seite des Dürr-Ellnbacher Bachs hinauf- und auf der anderen Seite hinunterlaufen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Bach trockenen Fußes zu queren.
Es ist eine schöne, ruhige Ecke dort, auch bei herbstlichem Ausflugswetter nicht überlaufen. Wir haben viele Pilze gesehen, allerdings nur wenige essbare, die noch gut waren. Ich bin dort aber auch schon mit vollen Körben nach Hause gegangen. Hübsch waren die nicht sammelnswerten Pilze aber allemal.
Ganz am Ende des Tals steht das alte Forsthaus, zu dem wir heute nicht hingelaufen sind. Angeblich soll es Anfang des 20. Jahrhunderts mit vier Einwohnern das kleinste Dorf Deutschlands gewesen sein. Früher war es größer; die erste Erwähnung findet sich laut Wikipedia schon 1437. Anfang des 19. Jahrhunderts sollen dort 42 Menschen gewohnt haben. Doch wie auch in anderen armen Odenwalddörfern, die heute nicht mehr existieren, setzte dort Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Auswanderungsbewegung nach Amerika ein. Nur ein Hof blieb übrig, der später zum Forsthaus wurde. Von den anderen Gebäuden ist heute nichts mehr zu sehen.
* Wie es den Sorgen im Walde ergeht Einst wollt ich hinaus in den grünen Wald, da zogen die Sorgen mit. Vergebens gebot ich wohl zehnmal Halt, sie folgten mir Schritt für Schritt.
Doch als wir kamen wohl in den Busch, begann ein Flüstern sogleich – die Vögel riefen: „Ihr Sorgen, husch, hinaus aus dem grünen Bereich!“
Das Gras erhob sich und hielt sie auf, ein Windstoß hauchte sie fort, die Bäume rauschten und schlugen drauf, sie flohen von Ort zu Ort…
Und rannten und stießen die Köpfe sich ein am Felsen, riesig und rauh, verschmolzen im lachenden Sonnenschein, ertranken im duftigen Tau.
„Da habt ihr’s!“ rief ich, von ihrer Not befreit, in die Lüfte hinaus – „da seht ihr, was euch im Walde droht, ein andernmal bleibt ihr zu Haus!“
Ja, so sieht es bei mir aus. Irgendwo gibt es ein Foto von mir als dickwangiges Baby vor genau diesem Sideboard mit genau diesem Radio …
Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, heißt es ja. Und ich sorge gerne dafür, dass bei mir Leib und Seele zusammenbleiben – das wäre ja noch schöner, oder?
Auch wenn bei mir hausfrauliche Aktivitäten wirklich nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen zählen, koche und backe ich gerne. Gerade der Herbst weckt in mir die Lust dazu, auch, weil ich so viele leckere frische Dinge sehe, ob nun im Supermarkt oder einfach beim Spazierengehen.
Kürbisse zum Beispiel kaufe ich am liebsten bei einem Direktvermarkter. Das ist hier in einem kleinen Dorf, und es wird eine unbeschreibliche Vielfalt angeboten: von Zierkürbis bis Halloween-Kürbis, und natürlich die verschiedensten essbaren Sorten wie Hokkaido, Butternut, Spaghettikürbis, Eichelkürbis … Bezahlt wird auf Vertrauensbasis in eine kleine Kasse, die dort steht. Daher schreibe ich auch nicht im Internet, wo das ist, zu viel Deppenvolk da draußen. Habe ich schon erzählt, dass uns schon wieder eine Plastikbox aus dem öffentlichen Bücherregal geklaut wurde? Dort bringen wir immer die größeren Bücher unter, die nicht in die Regalbretter passen. Wir haben (weil das die 4. oder 5. Kiste ist, die wir dort reinstellten und die geklaut wurde) die Kiste mit Kabelbindern festgemacht und überall mit Edding „Gehört ins Bücherregal“ draufgeschrieben – meine Güte, wer klaut denn so etwas?
Zurück zu den Kürbissen: Irgendwann im September fahre ich immer mal wieder beim Direktvermarkter vorbei, wenn ich in der Gegend bin, und sind dann die ersten Kürbisse da, jubelt mein Herz und ich lade mir meinen Kofferraum voll und fühle mich glücklich auf dem Heimweg. (Mein letztes Auto, das nach einem derben Kuss eines Betonmischers gerade zum Sterben bei einem örtlichen Kfz-Händler steht, war ein Smart – das waren also nicht soooo viele Kürbisse.)
Gestern haben wir wieder etwas Nachschub geholt.
Weil ich mal wieder irgendwo im TV gehört habe, wie unverschämt gesund fermentiertes Gemüse sein soll, habe ich mal wieder Kimchi gemacht. Da gibt es ganz leckere Rezepte (einfach nach „koreanisches Kimchi“ googeln), aber die ersten Versuche hatten für mich viel zu viel Schärfe und Knoblauch, und ich bin da nicht empfindlich. Das Fermentieren selbst hat aber immer gut geklappt. Mal sehen, ob es diesmal wieder hinhaut.
Auch sonst habe ich grade Freude am Kochen und Backen. Äpfel und Birnen, die mir beim Spazieren vor die Füße gefallen sind, landeten auf einem wenig gesüßten Kuchen (ich mag keine sehr süßen Sachen), und der beste Ehemann von allen hat mal wieder einen Satans- äh, Seitanbraten fabriziert. Diese Braten schmecken besser als jede Art „Fleischersatz“, die ich kenne. Hier der Link zum Rezept.
Ja, ich muss gestehen: Gut und lecker essen ist für meine Lebensfreude nicht ganz unerheblich …
Heute changiert das Wetter kaum, es wechselt nur zwischen mäßigem, starkem, sehr starkem und extrem starkem Regen, und das alles bei kühlen 11 Grad. Meine Stimmung fühlt sich in letzter Zeit ähnlich an. Nein, keine privaten oder beruflichen Katastrophen, nur zu viele nervige Sachen vom kaputten Zahn bis zum kaputten Auto, und diese Wechseljahresgeschichte noch obendrauf. Manchmal möchte ich mich an solchen Tagen einfach mit einem Buch und einem großen Whiskey ins Bett verkrümeln. Denn ich habe zu nichts Lust – weder auf Arbeit (ich mache sie trotzdem), noch auf das Beantworten diverser Mails (trotzdem), noch so recht, diesen Blogbeitrag zu schreiben (trotzdem) oder auf Hausarbeit (trotz… na ja, ich habe zumindest die Spülmaschine aus- und eingeräumt).
Tropf, Tropf
Auf den täglichen Spaziergang hatte ich natürlich auch keine Lust, aber – siehe oben – ich machte ihn trotzdem. Und natürlich tat das gut, wie immer. Ein paar Begegnungen im Regen: ein junger Wandermensch, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, nickte mir zu; ein Reh bellte mich an, und ich schmunzelte über eine Dame, deren sehr kleiner Hund trotz Hundemantel missmutig über den Feldweg schlich, während Frauchen den Schirm über ihn hielt.
Zu schnelles Reh
Ich dachte über Nostalgie nach beim Spazieren. „Schlechte Laune früher war eher Liebeskummer und Weltschmerz, und sie schmeckte süßer“, dachte ich, muffelig durch kleine Bäche stapfend, die gestern noch Wege waren. „Ach“, dachte ich dann, „da ist sie ja, die Nostalgie.“ Irgendwo las ich kürzlich, wie gefährlich Nostalgie sein kann: Der verklärende „früher war alles besser“-Blick schürt reaktionäres Gedankengut und lähmt den Wunsch, die Zukunft zu gestalten. Ich denke da an diese unseligen Facebook-Memes (einer der 100.000 Gründe, dort nicht mehr aktiv zu sein), in denen Menschen mittleren Alters davon schwärmen, wie toll früher alles war, als Kinder noch rauchten und man Frauen ungefragt unters Röckchen langen konnte – oder so ähnlich.
Aber natürlich kenne ich auch meine private Nostalgie. Das fängt mit einer gewissen Schwäche für Retro und Vintage an (die 1970er sind sehr sichtbar in unserem Haus vertreten) und hört bei einer gewissen Skepsis gegenüber manchen modernen Dingen (Smartphones!) auf. Und natürlich gibt es auch Zeiten in meinem Leben, denen ich nachtrauern kann, als ich jünger und schöner und alles viel spannender war. Ich kann meine nostalgischen Bilder abrufen, und auf vielen sind Lagerfeuer, Freunde und Lachen. Gleichzeitig ist mir manche Nostalgie auch fremd: Ein Freund meinte kürzlich, er wäre gerne wieder Schüler. Ach nee, dachte ich, danke. Fremdbestimmt, den Launen mancher nicht so tollen Lehrer ausgeliefert, und der Liebeskummer damals hatte noch wirklich zu viel Biss, und überhaupt segelt es sich heute doch routinierter und vor allem selbstbestimmter durchs Leben.
Ein Lagerfeuer von 2001
Daher denke ich (und riet das auch dem Freund): Wenn man merkt, dass Nostalgie hochkommt – mal überlegen, welche Bedürfnisse dahinterstehen. Welche Dinge man vielleicht mit den Jahren ad acta gelegt hat, sie aber eigentlich noch braucht oder zumindest ersehnt. Die Freundschaft. Die Freiheit. Zum Beispiel. Ach, ich sollte wohl wirklich nächsten Sommer mal wieder mit Freunden an einem Lagerfeuer sitzen, auch wenn mir der Rücken heute schneller weh tut und ich weniger Bier vertrage…
Zwei sehr verschiedene Bücher für die Frau um die 50. Beide Bücher sind recht orangefarben, sonst sehr unterschiedlich.
Intro
Ich habe ja inzwischen ein gerütteltes Maß an Büchern über die Wechseljahre im weitesten Sinne gelesen, manches ältere Bücher, die vor Jahrzehnten eine Pionierleistung waren, und auch aktuellere Werke. Manche Bücher konzentrieren sich auf das medizinische Wissen, andere betonen mehr die Psychologie und wieder andere auch spirituelle Aspekte. Viel wiederholt sich, viel widerspricht sich. Gerade lese ich ein Buch, das in den letzten Jahren wohl zu den bekanntesten Bestsellern zum Thema gehört: Woman on Fire von Dr. Sheila de Liz. Und ich muss gestehen, ich war ein bisschen enttäuscht und tat mich schwer, über die Hälfte hinauszukommen, und habe so die zweite Hälfte nur noch durchgeblättert und überflogen.
It’s the estrogen, stupid!
Ja, sie schreibt flott, leicht und auch humorvoll (Östrogen, Progesteron und Testosteron als die drei Engel für Charlie), wertschätzend, tabufrei und als Fachfrau hat sie mit vielem sicher recht. Aber den Untertitel „Alles über die fabelhaften Wechseljahre“ fand ich darin nicht so recht wieder. Ja, sie greift auch Themen auf wie den Sex mit Ü50, der in anderen Büchern ein bisschen kurz kommt, und der Tipp, rechtzeitig mit östrogenhaltigen Salben im Vaginalbereich zu beginnen, klingt sinnvoll. Aber auch sonst scheint – wenn man ihr glaubt – in den Wechseljahren an einer Hormonersatztherapie (HET) mit bioidentischen Hormonen fast kein Weg vorbeizuführen, will man nicht als eine Art demente Dörrpflaume mit Glasknochenkrankheit enden. Was ist daran fabelhaft? Bestenfalls kann man genug Hormone einnehmen, dass sich wenig ändert. Schlimmstenfalls – siehe oben. Ich empfinde das als sehr defizitorientiert.
Und ich denke auch manchmal – man stelle sich vor, die für Eltern und Teenager so beschwerlichen Pubertätsjahre könnte man mit entsprechenden Hormonprodukten viel smoother und reibungsfreier gestalten… Wie fühlt sich der Gedanke an? „Aber die müssen doch rebellieren und sich wegstrampeln und mal richtig histrionisch sein“, denke ich. Aber wer sagt denn, dass wir Frauen in den Wechseljahren nicht auch mal rebellieren und strampeln und histrionisch sein müssen?
Mir ist natürlich bewusst, dass die Brustkrebs-Horrorstories aus den 20. Jhd sich noch auf ganz andere Arten von Hormontherapien bezogen. Dennoch raten auch heute noch viele Ärzte von Hormontherapie eher ab, wenn es in der Familie schon mal Brustkrebs gab (was bei mir der Fall ist), oder regen zumindest an, es sehr genau abzuwägen. Das gilt übrigens auch für Phytohormone wie jene aus Yams, Sibirischem Rhabarber, Rotklee oder was weiß ich. Die Aussagen schwanken zwischen „potentiell schädlich“, „keinerlei Wirkung“ und „eine Alternative zur HET bei leichteren Symptomen“. Da soll frau sich mal entscheiden, was sie mit leichten bis moderaten Beschwerden tun soll…
Ohne HET nur noch eine Ruine, dem Verfall preisgegeben?
It’s (only) the estrogen, stupid?
Was mich an dem Buch auch etwas enttäuschte, ist, dass jenseits von HET (und ein paar Tipps rund um Sex) relativ wenig Raum auf die generelle Lebensgestaltung gelegt wurde. Aus anderen Studien (wie gesagt, ich habe sehr viel gelesen, ob gedruckt oder online) wird zum Beispiel deutlich gemacht, welchen großen Einfluss auf eine gesunde Prä-, Peri- und Postmenopause die Klassiker des guten Lebens haben: gesunde Ernährung, viel Bewegung, genug Schlaf, nicht zu viel Stress, sinn- und bedeutungsvolles Tun, soziale Verbindungen. Ja, das wird auf ein paar Seiten erwähnt à la „natürlich Kraftsport, Ernährungsumstellung, genügend schlafen, selbst ich Powerfrau brauche jetzt mehr als 5 Stunden Schlaf!“. Ich finde mich da halt nicht so ganz wieder als Frau, die stolz drauf ist, wenn sie am Tag ein Stündchen spazieren geht und Nüsse nascht statt Chips und ansonsten verquollen durch den Tag torkelt, wenn sie keine 7 Stunden Schlaf hatte.
„Du kannst nicht immer 17 sein“ – Haha! Von wegen!
Ich selbst habe ja nun mit knapp 52 einige der Symptome, die man kennt, meist für kurze Zeit gehabt – Gelenkschmerzen, Herzklopfen, Schlaflosigkeit vor allem, aber keine Hitzewallungen. Meine Psyche erinnert halt – leider? – zurzeit oft an die Pubertät und gibt mir davon eine 2.0-Version.
Ich rede ziemlich offen über die Wechseljahre, und das ist ja auch etwas, was unterschiedlich ankommt. Für manche Frauen, das merke ich, ist es eine Erleichterung, dass sie mal drüber reden können, vor allem für solche aus einem konservativen und beruflich männlich geprägten Umfeld. Anderswo las ich dagegen, es werde ja schon viel zu viel über das Thema geredet, Frauen da – schon wieder! – als defizitäre, schwache Geschöpfe dargestellt, die sich schonen müssen. Hm. Wie so oft ist es wohl ein Mittelweg zwischen Auf-sich-Achten und Sich-in-Zipperlein-reinsteigern…
Mal Sonne, mal Wolken – auch Ü50
Pflanzen und HET
Wie sieht denn da der richtige Weg durch diese Zeit aus? Ich kann nur sagen, wie er für mich aussieht. Ich nehme vor allem pflanzliche Mittel ein, die manches erleichtern sollen, vor allem Johanniskraut gegen depressive Verstimmungen und Melatonin-Depot-Kapseln und Baldrian für besseres Schlafen. Gerade versuche ich auf Anraten meiner Gynäkologin Phytoöstrogene, ob die etwas ändern, werde ich sehen. Bisher machen sie nur Magendrücken.
Ansonsten gönne ich mir schon seit Mitte 40, dass ich als Freiberuflerin nicht mehr Vollzeit arbeite, um mein Stresslevel zu senken.
Aber ich bin auch keine alleinerziehende Frau mit zwei pubertierenden Kindern, einer dementen Mutter und einem stressigen Vollzeitjob, der zu Stress kaum eine Alternative bleibt. Ich kann und ich darf diese Phase dafür nutzen, mal einen Schritt zurückzutreten, statt mit HET-Unterstützung einfach weiterpowern zu können, Alternative Burnout und Armut.
Veränderliches Wetter
Was darf sich ändern?
Eine liebe Freundin und zugleich Psychotherapeutin sagt oft den Satz: „Was darf sich beim Klienten ändern?“ Sprich: zu welchen Veränderungen jenseits von „meine Stimmung soll besser sein“ sind die Klient:innen in einer Psychotherapie bereit? Mir geht es da ähnlich zurzeit. Meine Lebensumstände sind so, wie ich sie haben will, von Partnerschaft über Geld und Hobbys bis Job. Und doch werde ich unaufhaltsam älter, und neben den Dingen, die ich irgendwann ändern muss, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen, kommt ja das hinzu, was ich vielleicht doch mal ändern könnte. Kann ich es mir vorstellen, wieder mehr kreativ zu sein, noch ein Buch zu schreiben? Wäre es etwas für mich, zusätzlich zu meinem geschätzten Zeitungsjob mal eine HP-Psychotherapie- oder Coaching-Ausbildung zu machen? Wie finde ich wieder mehr Zugang zu meiner Spiritualität?
So fühle ich zurzeit eine starke Tendenz zur Innenschau. Ich will nicht mehr in den sozialen Medien mit Besserwissern jeder Couleur diskutieren, ich will mich nicht unnötig für andere aufreiben, ob nun beruflich oder privat. Ich sehe mich aktuell auf den Wogen, die – wie gesagt – an das Auf und Ab der Pubertät erinnern, und frage mich neugierig: Wo geht diese Fahrt hin? Was muss, was darf sich ändern? Ist es nicht richtig und gut, jetzt auch als gestandene Frau Ü50 ab und zu auf den Tisch zu hauen voller östrogenmangelnder Gereiztheit und zu sagen: „Ich mach das nicht mehr mit!“?
Herbst, Zeit der Reife
Embrace the juicy-crone year!
Jetzt jenseits von den rein gesundheitlichen Aspekten, die man auch auf ein paar Seiten ganz gut zusammengoogeln kann, fand ich das hilfreichste Buch über das Älterwerden als Frau eines zwischen Psychologie und Spiritualität und etwas Old-School-Feminismus, geschrieben von einer Jung’schen Tiefenpsychologin. Es heißt Feuerfrau und Löwenmutter. Göttinnen des Weiblichen und stammt von Jean Shinoda Bolen. Die Originalausgabe Goddesses in Older Women: Archetypes in Women over Fifty erschien 2002.
Bolen arbeitet mit Archetypen, und es gibt auch weitere Bücher von ihr zum Thema (am bekanntesten wohl Göttinnen in jeder Frau: Psychologie einer neuen Weiblichkeit). In dem Buch geht es darum, welche Archetypen für eine ältere Frau lebbar sind (wie die weise, unabhängige Hekate), welche Probleme die bringen können, die man vorher lebte („die verführerische Aphrodite“ ist Ü50 komplizierter als „Artemis allein im Wald“). Statt zu klagen, dass manches vorübergeht, rät sie: embrace the juicy-crone years.
Und das geht für mich ein Stückchen über das Thema östrogenmangelbedingte Scheidentrockenheit hinaus!
PS: Die Bilder stammen vom Spaziergang heute und sind frei assoziiert eingefügt, damit ihr, liebe Leser, nicht so vor der Bleiwüste zurückschreckt 😀
„Die Frau als Mensch“ neben einer frühgeschitlichen Gasbetonfigur plus Keramikeule
Auf dieses Buch hatte ich schon lange – Wortspiel! – Lust. Jetzt konnte ich es aus der nächsten Stadtbücherei ausleihen und habe es mit viel Vergnügen, aber manchmal auch mit Wehmut und Wut durchgelesen. Es geht in dem Buch um die Anfänge der Menschheitsgeschichte und darum, wie lange Zeit die Rolle der Frauen und auch „weiblicher“ Eigenschaften wie Empathie darin kaum gewürdigt wurde. Nachdem man in Europa zähneknirschend anerkannt hatte, dass der Mensch nicht vor 6.000 Jahren als weißer, blonder Mann aus Gottes Würfelbeutel gepurzelt ist, hat man sich ein recht düsteres Bild der Vorgeschichte gemalt. Die „Urmenschen“ wurden als haarige, grunzende Wilde dargestellt, die ständig bestrebt waren, ihrem Gegenüber die Keule über den Kopf zu ziehen oder eine Frau an den Haaren in ihre Höhle zu schleppen. Die männlichen Forscher einer patriarchalen Zeit projizierten ihre Kulturvorstellungen auf die Vorgeschichte. So war für sie klar, dass die Männer wichtiger waren – als Anführer, als Jäger –, während die Frauen devot um sie herumkrochen und die Höhle putzten.
Nun passen weder die archäologischen Funde noch ethnologische und psychologische Erkenntnisse zu diesem Bild. So sind die ersten Darstellungen von Menschen über Jahrzehntausende hinweg zu 90 Prozent weiblich. Überall findet man die kleinen Frauenstatuetten, die frühere männliche Forscher „Venus“ nannten, denn: welches Weib außer einer Göttin würde sich so schamlos nackt präsentieren? Wieder mal: Projektion.
Ulli Lust malt in dem grandiosen Comic ein anderes und wissenschaftlich fundiertes Bild der Vorgeschichte, ergänzt es immer wieder durch eigene Erlebnisse im Leben, die oft schmunzeln lassen. So konstatiert sie ihrem sechsjährigen Ich, dem die Jungen mit ihrem ungeschützten Gebaumel zwischen den Beinen leid taten, „Penismitleid“ statt Penisneid. Und auch die bildliche Umsetzung, wie die Interaktion zwischen zwei Politikerinnen à la Bonobos aussehen würde, hat mich lachen lassen. Traurig macht dagegen die Art und Weise, wie Jäger- und Sammlerkulturen wie die Buschleute in Afrika von unserer modernen Gesellschaft einfach plattgewalzt und ausgelöscht wurden – obwohl wir in puncto soziales Verhalten von solchen Gruppen einiges hätten lernen könnten.
Denn, das legen auch archäologische Funde nahe, auch unsere menschlichen Vorfahren in der Steinzeit kümmerten sich um Schwächere, behandelten Verletzte, unterstützten Menschen mit Behinderungen. Ja, es gibt sogar Anzeichen, dass diese Menschen eine herausragende Rolle in dem Stamm spielten. Frauen waren keine verschüchterten Weibchen, sondern groß und muskulös. Es gibt einige Funde von „Steinzeitjägern“, bei denen man erst später herausfand, dass die Knochen weiblich waren. Und wenn man Menschen darstellte, dann waren es meist Frauen.
Einen großen Schwerpunkt legt Ulli Lust auf die Entstehung der Kunst und auch der Religion. Sie beschreibt dabei schamanische Traditionen späterer Kulturen, die sich so oder so ähnlich vielleicht auch schon vor vielen tausend Jahren fanden.
Und wenn man das Buch zuklappt, keimt in einem die kleine Hoffnung auf, dass dieses turbokapitalistische Patriarchat vielleicht nur eine kleine Episode sein könnte in einer langen Menschheitsgeschichte, die viel mehr auf Kooperation und Wohlwollen angelegt war.
Fazit: Unbedingt lesen! Und: Ich brauche definitiv roten Ocker.